Das Unbewusste und die psychoanalytische Praxis by Erich Fromm

Das Unbewusste und die psychoanalytische Praxis by Erich Fromm

Autor:Erich Fromm [Fromm, Erich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbuch
ISBN: 978-3-95912-097-5
Herausgeber: Edition Erich Fromm
veröffentlicht: 2015-11-01T16:00:00+00:00


c) Das Bezogensein aus der Mitte

Im Folgenden möchte ich näher auf das eingehen, was ich mit „Bezogensein aus der Mitte“ (central relatedness) meine, obwohl sich dieses Erleben kaum auf einen Begriff bringen lässt, weil es sich weder erklären noch in Worte fassen lässt. Entweder man kann diese Art Bezogensein erleben oder man kann sie nicht erleben. Der Versuch ist nicht weniger schwierig wie die Erklärung des Unterschieds zwischen dem Ich-Erleben als Ego und als Objekt einerseits und dem Ich-Erleben als einem tätigen Subjekt meiner eigenen Kräfte, bei dem ich mich vergesse, obwohl ich ganz und gar ich selbst bin.

Ein überzeugendes und natürliches Symbol für das, was ich mit Bezogensein aus der Mitte meine, ist tatsächlich die sexuelle Liebe, weil im Vollzug der sexuellen Liebe Mann und Frau sich vergessen. Hören sie nämlich nicht auf, über sich nachzudenken, dann ist der Mann impotent und die Frau frigide. Denn sobald man sich nicht ganz auf das Erleben einlässt, sondern zu einem Objekt wird, das über sein Tun nachdenkt, ist man selbst auf dieser physiologischen Ebene zum Vollzug unfähig. Ich sage, dass die sexuelle Liebe ein sehr bezeichnendes Symbol dieser Art von Bezogensein ist; ich sage nicht, dass zwei Menschen, die miteinander schlafen, deshalb in dieser Weise aufeinander bezogen sind. Es ist nur eine Weisheit unseres Körpers, und ich bin mir sicher, dass es viele Menschen gibt, deren Körper sehr weise ist, während ihr Geist furchtbar dumm ist, genauso wie es andere Menschen gibt, deren Körper nicht sehr weise ist, die aber dennoch intensiv auf andere Menschen bezogen sein können. Kurzum, ich glaube nicht, dass es eine Entsprechung zwischen dem sexuellen Verhalten und den charakterologischen Verhaltensmustern gibt. Das Erleben der sexuellen Liebe dient mir hier nur als Symbol, weil ich es fast für unmöglich halte, das Bezogensein aus der Mitte begrifflich zu fassen. Man kann eigentlich immer nur einige Aspekte beschreiben.

Die Kennzeichnung „Bezogensein aus der Mitte“ will deutlich machen, dass es um ein Bezogensein geht, das jeweils von der Mitte (center) zur Mitte geht, und nicht von der Oberfläche des einen zur Oberfläche des anderen. Auch wenn dies wiederum nur Worte sind, so haben wir doch ein Gespür dafür, was aus der Mitte kommt und was oberflächlich ist. Aus der Mitte heraus bezogen zu sein, setzt voraus, dass man am anderen wirklich interessiert ist. Wir können aufmerksam und mit Interesse zuhören, über den anderen nachdenken, und doch bleibt der andere draußen. Wir können auf einen anderen bezogen sein und über ihn nachdenken, wie ein Physiologe im Labor mit Recht über das Kaninchen oder der Chemiker über eine Flüssigkeit nachdenkt, mit äußerster Interessiertheit und Konzentration, und doch bleibt der andere jemand „da drüben“, und ich bin hier. Man kann sich den Unterschied des Bezogenseins bewusst machen, indem man unterscheidet zwischen einem Mangel an Interesse, einem Interesse und dem, was ich die direkte Begegnung mit dem anderen nenne, und zwar nicht nur mit den Patienten, sondern mit jedem Menschen. Meistens werden wir jene Art von Interesse am anderen bei uns finden, die der Vorstellung vom



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